Aufhänger:
⦁ „Die Entstehung des Patriarchats“, Gerda Lerner (Campus 1995)
⦁ „Das Jenseits ist eine Insel – … Eine Reise auf den Spuren der Freundschaftsökonomie“, Artikel v. Sabine Vogel in der Berliner Zeitung Nr. 67 v. 19./20.03.16 im Magazin S. 1+2
Die Lektüre von Gerda Lerners Buch hat mich – fast – sprachlos zurückgelassen: Sollte es wirklich so sein, dass das ganze „Gedöns“ der globalen patriarchalen Dominanz bis zum heutigen Tag ganz schlicht auf dem i.d.R. jederzeit leicht auszulösenden männlichen Drang nach Entladung ihrer Sexualität beruht, der damals im Paläolithikum, der Altsteinzeit, wegen der hohen Kindersterblichkeit wichtig war zum Überleben der Gattung Mensch? Und dass, um diesen Sex-Drang gesellschaftlich etablieren zu können, ohne dafür als das schwache Geschlecht dazustehen, ein ganzes Machtgefüge inkl. theoretischen Überbaus samt Herrschaftsinstrumenten wie Sexismus und Rassismus sowie dazu gehörigen Unterdrückungsmechanismen konstruiert wurde?
Wird am Ende die Welt von altsteinzeitlichen Wilden, verkleidet mit Schlips und Kragen, regiert und haben diejenigen mit ihrer Vermutung Recht, die da sagen, dass diese Wilden eher die Welt untergehen lassen, als ihr androzentriertes, patriarchal dominantes Denken und Handeln zu ändern?
Aber hey, wir leben doch jetzt im 21. Jahrhundert und die Männer – also (nach ihren eigenen Angaben) wenigstens die in den selbst ernannten „entwickelten“, soll wohl heißen „zivilisierten“ industrialisierten Ländern auf der Nordhalbkugel dieses Planeten – sind doch keine trieb- und machtgesteuerten Sexprotze! Au weiah, oder etwa doch (hallo Dominik Strauß-Kahn u.a.)?!?
Bis ich Gerda Lerners Buch gelesen hatte, hatte mein bisheriges Literaturstudium die Interpretation zugelassen, es hätte mal eine respektvoll-partnerschaftliche Zeit zwischen den beiden biologischen Geschlechtern gegeben (in der auch die Erinnerung oder das Bild vom Paradies1 angesiedelt wurde): in der Jungsteinzeit, als die Menschen begannen, sich in fruchtbaren Regionen niederzulassen und dort Ackerbau und Viehzucht zu betreiben.
Auf dieser Interpretation aufbauend war ich bislang fest davon überzeugt gewesen, dass also nur die Erinnerung an damals aufgefrischt werden müsste – auch praktisch z.B. im alltäglichen Zusammenarbeiten –, um das Zusammenleben unter den Menschen sowie der Menschen mit den anderen Lebewesen auf der Erde und mit der Erde selbst wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Natürlich habe ich auch in meiner persönlichen Vergangenheit immer wieder Männer getroffen, die – völlig resistent gegen jede Vorstellung von konstruktivem partnerschaftlichem Miteinander – meinten, immer wieder ihren „Imperator“2 heraushängen lassen zu müssen, und die man nur noch vor Gericht in ihre Schranken weisen kann. Aber ich war doch jedes Mal überzeugt, hierbei eine aussterbende Untergattung des einfachen Homo sapiens vor mir sitzen zu haben (sie sind ja auch alle schon oder zumindest bald im Rentenalter).
Wenn es aber nun doch das Endlos-Echo des paläolithischen Brunftgehabes ist, das uns u.a. nicht nur die Umweltzerstörung, die Kriege mit Millionen flüchtender Menschen (2/3 davon sind Frauen und Kinder), die Finanzkrisen, den so genannten „Gender gap“ (= die ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern für dieselbe Arbeit) und bis zum heutigen Tag die Vergewaltigung als Machtinstrument zur Unterordnung von Frauen beschert, dann müssen wir schnellstens andere Auseinandersetzungen führen. In allen grundlegenden gesellschaftlichen Bereichen. Und da bräuchte es jetzt endlich alle Stimmen, gerade auch die der längst partnerschaftlich denkenden und handelnden Männer in allen Bereichen der Gesellschaft. An den Konferenztischen. An den Küchentischen. Und auch am Stammtisch.
Es gibt kein richtiges Leben im falschen. (T. Adorno, „Minima moralia“)
1 – „Paradies“: altiranisch wörtlich für „umgrenzter Bereich“; später (griechisch) „Tiergarten“, „Park“
2 – originale Eigenbezeichnung meines letzten Chefs, in meiner Anwesenheit ausgesprochen
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Was hat nun der Zeitungsartikel damit zu tun?
Ich zitiere den Untertitel mal in voller Länge: „Glückliche Menschen, freie Liebe, geldloser Tauschhandel – was ist geblieben vom romantischen Südseeparadies auf den Trobriandinseln? Eine Reise auf den Spuren der Freundschaftsökonomie“.
Wessen Neugier hat das am sonntäglichen Frühstückstisch nicht geweckt? Ich für meinen Teil dachte, hier womöglich beruhigende Erkenntnisse gewinnen zu können vor dem Hintergrund des grässlichen Verdachts nach der Lektüre von Gerda Lerners Buch.
Doch dann: Gleich der erste Satz ein verbaler Schlag unter die Gürtellinie („Sind wir hier in Fettland?“). Und auch in der Folge macht sich zunehmend Ernüchterung breit. In einer zwar äußerst bildhaften, aber auch äußerst despektierlichen Beschreibung der Menschen („der fette Priester“, „Hutzelweibchen“, „riesiger roter Zinken im Gesicht“ u.a.) und Begegnungen ist Sabine Vogel bis zum letzten Satz so eindeutig auf kurze Effekthascherei und schnelle Lacher aus, dass ich – in weiblichem und männlichem Schreibstil-Erkennen erprobt – mich automatisch vergewissern musste, dass da wirklich eine Frau schreibt und kein Mann.
Hatte sie Angst, dass eine echte Auseinandersetzung mit dem Thema und der offensichtlich für sie völlig anderen Welt jenseits von Papua-Neuguinea niemanden interessieren würde? Hat sie in einer Art vorauseilenden Gehorsams gegenüber den womöglich nachhallenden (und heute schon wieder zunehmend salonfähigeren) „altsteinzeitlichen“ Anforderungen an die Bezahlung für das Schreiben von Zeitungsartikeln schon von vornherein resigniert und den Text einfach so rausgerotzt? Oder meint die zuständige Redaktion, für den „Magazin“ genannten Wochenendteil mehr „typisch männliche“ Leser gewinnen zu müssen und hat dafür den ursprünglichen Text der Autorin umarbeiten lassen?
Das hier war jedenfalls ausschließlich selbstverliebtes Wortgeplänkel mit Tendenzen zu fast kolonialistisch-rassistischer Überheblichkeit und hat das Versprechen des Titels nicht gehalten. Find ich für eine so teure Reise zu wenig und für die Berliner Zeitung beschämend und niveaulos.